Patient Bonsai
In der Künstlerresidenz „STEAM Imaging II“ bei Fraunhofer MEVIS entwickeln zwei Künstler aus Singapur eine interaktive Installation und beteiligen sich an einem Workshop für Jugendliche.
In der Künstlerresidenz „STEAM Imaging II“ bei Fraunhofer MEVIS entwickeln zwei Künstler aus Singapur eine interaktive Installation und beteiligen sich an einem Workshop für Jugendliche.
Ein kompletter Baum mit Ästen und Blättern, aber klein wie eine Topfpflanze: Der Bonsai, der unscheinbar in einem Besprechungsraum des Fraunhofer-Instituts für Digitale Medizin MEVIS in Bremen steht, wird das zentrale Element eines Kunstwerks namens „In Vivo“ darstellen. Dahinter stecken die beiden jungen Künstler Ernest Wu und Jake Tan aus Singapur. Sie erarbeiten ihre interaktive Installation im Rahmen des Residenzprogramms „STEAM Imaging“, das Fraunhofer MEVIS gemeinsam mit der Linzer Ars Electronica und der International Fraunhofer Talent School Bremen ausrichtet. Präsentiert wird das Werk im kommenden Jahr auf dem Ars Electronica Festival 2020, einer der weltweit wichtigsten Veranstaltungen für Kunst, Technologie und Gesellschaft.
Das Akronym STEAM steht für die Verbindung von Wissenschaft, Technologie und Mathematik mit der Welt der Kunst. Das Programm „STEAM Imaging“ ermöglicht Aufenthalte von Kunstschaffenden, um Wissenschaft mit den Ansätzen der digitalen Kunst zu verknüpfen. Integraler Bestandteil sind mehrere Workshops, die Jugendliche für die ungewöhnliche Allianz von Kunst und Wissenschaft inspirieren sollen. Es ist bereits die zweite Residenz, die Fraunhofer MEVIS gemeinsam mit Ars Electronica organisiert: 2017 hatte die taiwanesische Medienkünstlerin Yen Tzu Chang eine Performance entwickelt, in der sie die künftige Rolle von Maschinen in der Chirurgie thematisierte.
Jake Tan und Ernest Wu agieren für die Residenz erstmals als Künstlerteam, betreut von Assoc. Prof. Ina Conradi von der School of Art, Design, and Media an der Nanyang Technological University Singapore. Tan integriert Sensoren und Mikrocomputer in seine Installationen, nutzt die Möglichkeiten der virtuellen und augmentierten Realitäten, um über die Beziehung zwischen Mensch, Maschine und Natur zu sprechen. Wu dagegen versucht, mit den künstlerischen Mitteln von Fotografie und Videoinstallationen die Grenzgebiete zwischen Leben und Tod auszuleuchten. „In unserer Installation stellt der Bonsai eine Metapher für einen Komapatienten dar“, erläutert Wu. „Während unserer vierwöchigen Residenz haben wir unter anderem gemeinsam mit den MEVIS-Fachleuten einen Bonsai mit Hilfe eines Magnetresonanztomographen (MRT) untersucht.“
Für die MEVIS-Forscher bildete das Anliegen der beiden Künstler eine originelle Herausforderung – schließlich arbeiten sie für gewöhnlich an Methoden, die Aufnahmen aus dem MRT an menschlichen Patienten verbessern. Die Bildgebung von Pflanzen dagegen war neu für die Fachleute. Es brauchte mehrere Anläufe, dann war das Resultat für die beiden Künstler überzeugend: "Wir haben den Bonsai mit verschiedenen Methoden gescannt und konnten sogar sehen, wo er nach dem Gießen Wasser speichert", sagt Tan. "Wir waren sehr begeistert von den Ergebnissen und wollten sofort weitere Tests durchführen.“ Nach ihrem vierwöchigen Aufenthalt in Bremen reisen die beiden Künstler nun für zwei Wochen nach Linz, um bei Ars Electronica ihre Ideen in Form einer konkreten Installation umzusetzen. „Ziel des Programmes ist es, die Forschungen nicht nur zu erklären und anderen zugänglich zu machen. Wir wollen die Experten in die Auseinandersetzung mit Künstlern und der jungen Generation bringen, die Residenz als ein dialogorientiertes Hands-on Format der Wissenschaftskommunikation integrieren,“ erläutert Bianka Hofmann, verantwortliche Entwicklerin und Produzentin von Projekten für die Wissenschaftskommunikation.
Ein Bestandteil der Residenz ist ein von den Künstlern und Wissenschaftlern gemeinsam gestalteter STEAM-Workshop mit Jugendlichen, in Bremen, Linz und Singapur. „Damit wollen wir junge Leute auf neue Weise für die digitale Transformation in der Medizin begeistern“, erklärt Hofmann. „Um für die Zukunft gerüstet zu sein, müssen junge Menschen zunehmend transdisziplinär denken und arbeiten können, und das soll dieser Workshop fördern.“ Bei dem Workshop in Bremen haben Schülerinnen und Schüler des Schulzentrums Walle Früchte und Gemüse im MRT aufgenommen und daraus mit graphischer Bearbeitung sowohl am Computer als auch mit Zeichenkohle sowie mit Sensoren und Mikrocomputern ihre eigenen künstlerischen Installationen entworfen. „Besonders gefreut hat uns, dass auch Jugendliche aus dem berufsschulischen Zweig teilgenommen haben“, betont Hofmann.
Fraunhofer MEVIS hat in den vergangenen Jahren in der Nachwuchsförderung vielfältige erfolgreiche praktische Aktivitäten aufgebaut, die eine solche Kooperation mit der Kunst grundlegend ermöglichen. „Wir geben den Jugendlichen einen Einblick in unsere Arbeit und lassen sie ein Programm auf der Basis unserer MeVisLab-Softwareplattform entwickeln“, erzählt die Mathematikerin Hanne Ballhausen, Ansprechpartnerin für MINT-Förderung und -Schulung. „Dadurch erfahren die Schülerinnen und Schüler, welchen Nutzen die Informatik in der Praxis haben kann.“ So begleitet das von der Metropolregion Nordwest geförderte Programm „Digitale Medizin im Informatikunterricht - Metropolregion Nordwest macht Schule“ ein halbes Jahr lang die Informatik-Leistungskurse einer Bremer und einer Delmenhorster Schule.
Auch für den jährlich stattfindenden „Girls’ Day“ bietet Fraunhofer MEVIS seit langem ein Programm an: Die Schülerinnen ab der siebten Klasse kommen für einen Tag ans Institut, können sich über die Funktionsweise eines MR-Scanners informieren und dann selber mit den Bildern experimentieren. „Dadurch vermitteln wir den Schülerinnen, dass Informatik mehr bedeutet als vorm Computer hockende Nerds“, sagt Ballhausen. „Wir zeigen ihnen, dass man damit wichtige Dinge in der Medizin machen kann.“
Die Workshops sind so erfolgreich, dass die Fachleute sie nun auch auf andere Zielgruppen übertragen wollen. „Studien haben gezeigt, dass die Jugendlichen sehr von ihren Eltern sowie der Lehrerschaft beeinflusst werden“, betont Ballhausen. „Da haben wir uns gedacht: Warum nicht auch eine Art „Girls’ Day“ für die Eltern veranstalten?“ Die Idee: Die Eltern sollen erfahren, welche Fortschritte sich heute mithilfe der Informatik in der Medizin erzielen lassen. Dadurch könnten sie – so die Hoffnung – ihre Kinder motivieren, sich vielleicht auch einmal mit der Thematik zu befassen.