Am 28. Oktober 2002 besuchte ein kleines Team des Forschungszentrums MeVis Research, dem heutigen Fraunhofer-Institut für Bildgestützte Medizin (Fraunhofer MEVIS), das Universitätsklinikum Kyoto in Japan, um dem Leberchirurgen Professor Koichi Tanaka eine von den Bremern entwickelte Operationsplanungssoftware vorzustellen. Professor Tanaka war seinerzeit der weltweit führende Experte auf dem Gebiet der Leberlebendtransplantation, einer medizinisch und logistisch höchst anspruchsvollen Verpflanzung eines Teils der Leber eines gesunden Spenders in den Körper des schwerkranken Empfängers. Von den damals weltweit insgesamt rund 3000 Leberlebendtransplantationen, die aus ethischen und religiösen Gründen in Asien weit verbreitet sind, hatte Professor Tanaka etwa ein Drittel selbst durchgeführt.
Als die Bremer Forscher ihre Entwicklung zur patientenindividuellen Operationsplanung vorführten, war Professor Tanaka tief beeindruckt. Er bat die Bremer, ihre Computer-Analyse für eine am folgenden Tag angesetzte Leberlebendspende durchzuführen und das Ergebnis in der morgendlichen Fallkonferenz vorzustellen. Die über Nacht erstellte Analyse ergab, dass ein deutlich kleineres Transplantat für den Empfänger ausreichen würde als ursprünglich von den japanischen Chirurgen geplant. Die Entscheidung fiel zugunsten der für den Spender weniger riskanten MeVis-Variante und die Operation verlief für Spender und Empfänger erfolgreich. Von diesem Tag an wurde von Professor Tanaka keine Leberlebendspende mehr ohne die Unterstützung der Bremer durchgeführt.
Die aus dem Besuch erwachsene Kooperation zwischen Bremen und Kyoto war ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer klinisch relevanten und praktisch einsetzbaren Computerunterstützung für die Leberlebendtransplantation. Fortan wurden nicht nur die Auswirkungen der geplanten Schnittführung auf die von der Pfortader mit Blut versorgten Leberregionen betrachtet, sondern auch die Folgen für die über die Lebervenen drainierten Entsorgungsgebiete. Erst durch die Kombination und Abwägung der für jeden Menschen individuell ausgeprägten räumlichen Ver- und Entsorgungsmuster der Leber wird eine verlässliche Einschätzung des Operationsrisikos für den Spender und Empfänger sowie die Erstellung eines optimierten Vorschlags zur Teilung der Spenderleber und den Anschluss des Transplantats an den Blutkreislauf des Empfänger möglich.
Heute zählen neben der Universitätsklinik Kyoto zahlreiche führende Transplantationszentren weltweit zu den Nutzern und Kooperationspartnern der Bremer Operationsplanung für die Leberlebendspende, darunter die Lahey Clinic in Boston und das Asian Center for Liver Diseases and Transplantation in Singapore. Der klinische und praktische Nutzen des Verfahrens ist durch international führende Leberchirurgen belegt und in diversen Fachzeitschriften veröffentlicht.
Im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung von 2003 bis 2004 geförderten FuE-Projektes wurde bei MeVis eine internetgestützte und FDA-zertifizierte Dienstleistung für die computerunterstützte Bilddatenanalyse und Operationsplanung (Distant Services) entwickelt und im März 2004 ein kleines Unternehmen zur kommerziellen Nutzung ausgegründet. Seit 2007 werden diese und andere Dienstleistungen kommerziell von der MeVis Medical Solutions AG in Bremen angeboten. Neben der Planung von Leberlebendspenden unterstützen die Bremer vor allem auch komplizierte Operationen zur Entfernung von Lebertumoren. Bislang haben über 150 Kliniken aus aller Welt den Bremer Service genutzt und es wurden insgesamt mehr als 6000 klinische Leberfälle bearbeitet.
In aktuellen Projekten arbeiten die Forscher von Fraunhofer MEVIS an Erweiterungen des Verfahrens wie beispielsweise der Anbindung mobiler Endgeräte sowie an Systemen zur Unterstützung der Chirurgen bei der Umsetzung der geplanten Schnittführung im Operationssaal. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Übertragung der bildgestützten Operationsplanung auf andere Organe wie etwa die Lunge.