Während ihres Residenzstipendiums von Fraunhofer MEVIS schuf die Medienkünstlerin Eli Joteva eine bemerkenswerte Installation: Um an das Material für ihr digitales Kunstwerk zu kommen, legte sich die Bulgarin stundenlang in einen MRT-Scanner. Das Resultat ist die digitale Installation „IntraBeing“. Sie zeigt überdimensionale Organe und hochkomplexe Nervengewirre, die sich meditativ und geheimnisvoll vor dem Auge der Betrachter bewegen.
Die dritte Künstlerresidenz, die Fraunhofer MEVIS gemeinsam mit der Ars Electronica in Linz und der International Fraunhofer Talent School Bremen ausrichtet, findet erneut in Kooperation mit dem Schulzentrum Walle in Bremen statt. Erstmalig ist auch das UCLA ArtSci Center in Los Angeles beteiligt. Der Titel des Programms lautet „STEAM Imaging“ – STEAM steht für die Verknüpfung von Wissenschaft, Technologie und Mathematik mit anderen Disziplinen, beispielweise der Welt der Kunst. Ausgangspunkt der Residenz ist es, Künstler mit Wissenschaftler:innen und Schüler:innen zusammen zu bringen, um Grenzen einzelner Disziplinen zu überwinden, flexible Formen des Lernens und der Zusammenarbeit zu entwickeln und Fähigkeiten zu vermitteln, effektiv und kritisch mit neuen Technologien umzugehen. Die Residenz erlaubt es Kunstschaffenden, sich intensiv mit den MEVIS-Fachleuten auszutauschen und ihre Arbeiten mit neusten wissenschaftlichen Methoden und Ansätzen zu verknüpfen. Integraler Bestandteil ist dabei die gemeinsame Entwicklung des STEAM-Online-Kurses für Jugendliche. Auf Basis der ungewohnten Allianz von Kunst und Wissenschaft beschreitet er neue Wege, sich in der Schule naturwissenschaftlich-technischen Themen zu nähern.
Die bulgarische Medienkünstlerin Eli Joteva lebt in den USA und befasst sich seit längerem mit Themen aus der Wissenschaft: Sie lässt Einflüsse aus Quantenmechanik und Neurophysik in ihr Werk einfließen und nutzt ausgefeilte Bildgebungstechniken wie Infrarotkameras und Laserscanner, um ihre digitalen Installationen zu schaffen. „Die Geheimnisse des Unsichtbaren inspirieren mich sehr, etwa wie uns Kräfte und Schwingungen außerhalb unserer Wahrnehmung beeinflussen“, beschreibt sie. „Deshalb versuche ich mit bildgebenden Verfahren in Räume zu blicken, die wir mit unseren Sinnen nicht wahrnehmen können.“
An der STEAM-Imaging-Residenz faszinierte sie die Möglichkeit, einen tiefen, detaillierten Blick in den Körper werfen und künstlerisch verarbeiten zu können. Basis dafür waren Aufnahmen mit einem MRT-Scanner – eine bildgebende Technik, die mit starken Magnetfeldern überaus detailreiche und zugleich körperschonende 3D-Aufnahmen aus dem Inneren eines Menschen liefert. „Ich habe mich schon immer für den menschlichen Organismus interessiert und immer wieder auch meinen eigenen Körper in meinen Arbeiten verwendet“, erzählt Joteva. „Deshalb hat es mich begeistert, MRT-Daten meines Körpers zu machen und mit ihnen arbeiten zu können.“
Ein wichtiges Element der Residenz ist ein STEAM-Kurs für Schüler:innen. Joteva hat ihn gemeinsam mit den Entwicklerinnen des Residenzprogramms, Bianka Hofmann und Sabrina Haase, sowie der Kollegin Hanne Ballhausen gestaltet. Für die Konzeption traf sich das Team von Fraunhofer MEVIS in internen Workshops, um die geplanten naturwissenschaftlich-technischen Lehrinhalte aufzubrechen und in neuer Weise zu integrieren. Der Kurs ist um Objekte herum angelegt, die direkt oder indirekt im ansonsten digitalen Arbeitsalltag der Expert:innen eine Rolle spielen: ein Skelett und ein Phantom, also ein physikalisches Modell für Forschungszwecke. Dann flossen die spezifischen Interessen und Kompetenzen der Künstlerin mit ein. Der Kurs fand in englischer Sprache und online statt. An zehn Abenden ging es – aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln heraus – um Themen wie „Analog and Digital Simulations of the Body” und „What Gets Lost in the Digital World?” Die Jugendlichen hatten dabei die Gelegenheit zu eigenen Hands-On-Erfahrungen, die auch in den Unterricht am Schulzentrum Walle weitergetragen wurden. „Ich habe ihnen zum Beispiel gezeigt, wie sie Objekte aus ihrer Umgebung einscannen und daraus 3D-Modelle erstellen können, die sie dann per Internet mit anderen teilen können“, erzählt Eli Joteva. „Die Schülerinnen und Schüler haben es sehr genossen – die Rückmeldungen jedenfalls waren sehr positiv!“
Zur Entwicklung ihres Werkes hatte es Joteva eine MRT-Methode namens DTI angetan, mit der sich die Gestalt und auch das Verhalten von Nervenfasern abbilden lassen. In der Regel wird diese Methode für Gehirn-Aufnahmen genutzt. Joteva aber kam die Idee, sie für andere Körperregionen zu verwenden, speziell für Brustkorb, Becken und Füße. Allerdings war es ihr aufgrund der Pandemie nicht möglich, nach Bremen zu reisen und dort die Aufnahmen zu machen. Stattdessen konnte sie einen MRT-Scanner von MEVIS-Forschungspartnern an der University of California in Los Angeles nutzen.
Die Aufnahmen erwiesen sich als Tortur: Insgesamt acht Stunden lang, verteilt auf zwei Tage, musste sich Joteva in die enge Röhre des Scanners legen, dort verharren und immer wieder die Luft anhalten, um sich nicht zu bewegen. „Und dass, obwohl ich unter Klaustrophobie leide“, erzählt die Bulgarin. „Es gab viele Momente, in denen ich auf den Knopf drücken wollte, damit sie mich rausholen. Aber letztlich habe ich es um der Kunst willen ausgehalten.“
Es folgten zahlreiche Online-Sitzungen mit den Fachleuten von Fraunhofer MEVIS. Eli Joteva lernte, wie und mit welchen Software-Werkzeugen sich die Bilddaten bearbeiten und interpretieren lassen. „Ohne diese unglaubliche Unterstützung wäre das Projekt nicht möglich gewesen“, schwärmt sie. „Ich habe aber auch gemerkt, dass die vertiefte Auseinandersetzung mit einer Künstlerin die Leute von MEVIS durchaus befeuert hat, die Grenzen und Möglichkeiten ihres Tuns zu erweitern. Es war ein sehr inspirierender Prozess.“
Auf der Basis der prozessierten Bilddaten schuf Eli Joteva mit Hilfe einer 3D-Grafiksoftware eine raumgreifende Installation. „IntraBeing“, so heißt das Kunstwerk, zeigt die verfremdeten, überdimensionalen Organe aus Jotevas Körper, umgeben von hochkomplexen Gewirken aus Nervenfasern. Das Gebilde ist in ständiger, meditativer Bewegung – Ströme von Wasserstoffatomen, die mit den Organen in unsichtbarer Verbindung stehen. „Das Verhalten dieser Wasserstoffatome lässt sich nicht voraussagen, denn sie docken ständig an andere Atome an und wieder ab“, beschreibt die Künstlerin. „Diese wissenschaftliche Ungewissheit fasziniert mich – sie zeigt, dass wir beim Vordringen in den Körper immer auch etwas entdecken, was wir nicht verstehen.“
Zu sehen ist das Werk vom 8.-12. September 2021 auf dem Ars Electronica Festival in Linz, einer der weltweit wichtigsten Veranstaltungen für Medienkunst. Alternativ lässt es sich in den eigenen vier Wänden erleben – per Internet als „Augmented Reality“-Erlebnis.