Wenn es darum geht, die Sicherheit von Patienten in der klinischen Praxis zu erhöhen und Risiken und Schädigungen, die beispielsweise durch Operationen entstehen können, zu minimieren, sind Computerunterstützung und digitale medizinische Bildgebung Schlüsseltechnologien.
Das Fraunhofer-Institut für Bildgestützte Medizin MEVIS in Bremen hat ein richtungsweisendes neues Verfahren entwickelt, das die Unsicherheiten der Bildgebung, der Modellierung und der Rekonstruktion individuell analysiert und bei der Rekonstruktion der Patientendaten mit berücksichtigt. Das Verfahren ermöglicht es, einen Sicherheitsabstand um die Nervenfaserbahnen im Gehirn exakt zu bestimmen. Zusätzlich wird die Zuverlässigkeit der rekonstruierten Daten ermittelt, um so dem Operateur genaue Informationen über die Lage und den Verlauf sowie mögliche Kreuzungen der Faserbahnen zu geben und Sicherheitsabstände um die Nervenbahnen mit zu konstruieren. Unter Einbeziehung der Mess-, Rekonstruktions- und Modellierungsfehler wird die genaue örtliche Verlagerung der Faserbahnen durch den raumfordernden Tumor berechnet. So wird dem Neurochirurgen eine verlässliche Prognose darüber gegeben, über welchen Zugangsweg und wie weit der Tumor und ein zusätzlicher Sicherheitssaum herausgeschnitten werden dürfen, ohne Nervenfaserbahnen zu verletzen und ohne dabei wichtige Funktionsgebiete irreversibel zu schädigen. Der Chirurg kann bereits vor dem Eingriff diese Risiken patientenindividuell bewerten. Die Software-Assistenten werden weiterentwickelt und zukünftig auch in der Neuronavigation während einer OP eingesetzt, so dass der Chirurg während einer Operation mit aktuellen Daten versorgt wird und diese mit den Planungsdaten abgleichen kann.
Wie die Nervenfaserbahnen im Gehirn verlaufen und welche Funktionsareale sie verbinden, können jetzt Besucher der Ausstellung an einem Exponat in der Ausstellung ”Neue Wege in der Medizin“ auf dem Ausstellungsschiff „MS-Wissenschaft“ erkunden. Das umgebaute Binnenfrachtschiff ist vom 19. Mai bis zum 29. September 2011 unterwegs und geht in 35 Städten vor Anker. Im Jahr der Gesundheitsforschung können sich die Besucher über die neuesten Trends, Entwicklungen und Forschungsergebnisse informieren. Das Exponat zeigt ein mit einem neuartigen Druckverfahren hergestelltes dreidimensionales Modell eines Gehirns, das auf realen medizinischen Bilddaten eines Menschen basiert. Dieses Gehirnmodell kann angefasst und über einen Drehteller aus verschiedenen Richtungen betrachtet werden. Über auf den Funktionsarealen des Gehirns angebrachte Sensoren können Nervenfaserbahnen im Gehirn aktiviert werden. Auf einem Bildschirm wird das Gehirn von innen mit den aktivierten Faserbahnen dargestellt und gezeigt, welche Faserbündel spezielle Funktionsareale im Gehirn verbinden, die zum Beispiel für das Sehen, die Sprache, das Fühlen oder die Bewegung zuständig sind. Diese neue Form der interaktiven Darstellung wurde von Fraunhofer MEVIS in Bremen zusammen mit dem Universum® Science Center Bremen entwickelt, um zu zeigen, wie moderne bildgebende Verfahren in Verbindung mit Mathematik und intelligenter Software dabei helfen, neurochirurgische Operationen für Patienten individuell planbar und sicherer zu machen. Der dreidimensionale Ausdruck des Gehirns wurde vom Fraunhofer-Institut ITWM in Kaiserslautern realisiert.
Jetzt können Neurochirurgen bereits vor einer Operation am Gehirn die Risiken eines Eingriffs patientenindividuell bewerten und eine erhöhte Sicherheit erhalten, Risiken, die nicht in Kauf genommen werden dürfen, zu vermeiden.
Ein Eingriff am Gehirn muss so geplant werden, dass der Neurochirurg zum Tumor vordringen und ihn entfernen kann, ohne dabei unnötigen Schaden anzurichten. Bevor der Hirntumor entfernt werden kann, müssen wichtige Fragen beantwortet werden: Wo genau liegen bei dem betroffenen Patienten die Funktionsareale der Hirnrinde, der grauen Substanz, und wie verlaufen die sie verbindenden Nervenfaserbahnen? Denn die Funktionsareale sind über Leitungsbahnen, den sogenannten Nervenfaserbahnen, miteinander verbunden. Diese Faserbahnen müssen weitestgehend geschützt werden, ansonsten kann es zu bleibenden Funktionsausfällen kommen. Hinzu kommt, dass diese Bahnen durch den Hirntumor verdrängt oder infiltriert werden können. Wenn die Faserbahnen bei der Operation verletzt werden, besteht die Gefahr auch entfernte Funktionsgebiete, die über diese Bahnen mit dem vom Tumor befallen Bereich verbunden sind, zu beeinträchtigen und bleibende sensorische, motorische oder kognitive Schäden zu verursachen. Neurochirurgen möchten deshalb die Antworten auf die Fragen individuell für jeden Patienten vorab in die Planungen einer Hirnoperation mit einbeziehen, um dadurch die Risiken des Eingriffs zu minimieren. Dafür benötigen sie medizinische Bilddaten, die die Anatomie und Funktion des Gehirns für jeden Patienten so realitätsnah und präzise wie möglich abbilden. Diese auf Messdaten basierten Bilder bergen ihrerseits Ungenauigkeiten, wie auch die Aufbereitung der Patientendaten, ihre Modellierung und Rekonstruktion.
Um diese Probleme zu lösen reicht eine Verbesserung der bildgebenden Verfahren allein nicht aus. Mathematische Analysen und Modelle müssen hinzugezogen werden, um präzise Informationen über die Lage des Tumors, der Funktionsgebiete, der Faserbahnen und auch hinsichtlich der Genauigkeit dieser Daten patientenindividuell aufzubereiten und dem Operateur als belastbares Wissen zur Seit zu stellen.
Autorin: Bianka Hofmann