Große Hoffnungen, aber auch gewichtige Bedenken: Über lernfähige Algorithmen wird derzeit lebhaft debattiert, vor allem auch in der Medizin. Hier sollen KI-Systeme künftig helfen, Krankheiten aufzuspüren und optimale Therapien zu identifizieren. Dabei stellen sich wichtige Fragen: Wie kommen die Algorithmen zu ihren Ergebnissen, und wie lassen sie sich überprüfen? Wer entwickelt diese neuen Technologien, die sich auf die Gesundheit von so unterschiedlichen Menschen auswirken? Und wer erschafft die Geschichten und Bilder, die die neuen digitalen Lösungen in der Medizin repräsentieren? Diesem Spannungsfeld geht die in Schottland ansässige Kreatorin Fiona Smith mit einem aufwändigen Kunstprojekt nach, das sie im Rahmen des Residenzprogramms STEAM Imaging V entwickeln wird. Ihre Idee: Bei ihrer interaktiven Installation »The Box« soll das Publikum eine KI mit Daten füttern und anschließend in einer audio-visuellen Darstellung beobachten können, wie die Maschine reagiert.
Das Fraunhofer-Institut für Digitale Medizin MEVIS richtet das Residenzprogramm »STEAM Imaging« bereits zum fünften Mal aus, um Themen der digitalen Medizin kritisch zu untersuchen. Es ermöglicht jungen Kreativen, gemeinsam mit MEVIS-Fachleuten ein Projekt an der Schnittstelle von Kunst, Technologie und Wissenschaft zu realisieren. Innerhalb dieses kooperativen Lernprozesses werden in einem gemeinsam entwickelten STEAM-Workshop Schüler:innen der Partnerschule SZ Walle eingebunden.
»Neue Technologien und datengesteuerte Tools wie KI verändern die Rolle der Ärzte und Patienten und unsere Sicht auf Gesundheit«, sagt Bianka Hofmann, Head of Science Communication am MEVIS und Entwicklerin des Residenzprogramms. »Zugleich werden die neuen Werkzeuge wesentlich durch die Beteiligten im Entwicklungsprozess sowie die Auswahl der zugrundeliegenden Daten geprägt.« Deshalb kooperiert MEVIS für STEAM Imaging V mit dem Institut für Designinformatik (IDI) der Universität Edinburgh. Es widmet sich unter anderem der Frage, wie der Mensch in verschiedensten Bereichen effektiv mit Datenströmen umgehen und interagieren kann. »Design Informatics mit seiner Anbindung an das Edinburgh Future Institute erlaubt eine experimentelle und kritische Praxis, gleichermaßen von Forschung und Industrie geprägt. Studierende bauen, testen, hacken und interpretieren neu, was Daten für die Gesellschaft bedeuten und wo Design die Möglichkeit hat, zukünftiges Denken zu formen, um spekulative, zukunftsweisende Projekte zu realisieren«, betont IDI-Managerin Nicola Osborne. »Damit passt das MEVIS-Residenzprogramm hervorragend zu unseren Aktivitäten.«
Ende Juni endete die Frist der Ausschreibung. Sie richtete sich erstmals nicht nur an Kunstschaffende, sondern an sämtliche Masterstudierende und Promovierende der beteiligten Partneruniversität. Danach fiel die Wahl auf den Vorschlag einer jungen Medizinerin: Während der COVID-Pandemie arbeitete Fiona Smith als Ärztin in einem Krankenhaus. »Mir wurde immer klarer, wie stark künstliche Intelligenz meinen Alltag beeinflusst«, erzählt sie. Sie entschied sich, eine Promotion in der Informatik anzugehen. »Ich wollte mehr darüber herausfinden und habe mir eine Doktorarbeit zum Thema KI gesucht.« Konkret geht es dabei um Algorithmen, die eines Tages den Gesundheitszustand von grade operierten Patienten automatisch überwachen könnten.
Bereits in Vergangenheit verwendete Smith künstlerische Zugänge und Prozesse, um komplexe Themen zu veranschaulichen. Unter anderem nutze sie ihr zeichnerisches Talent, um für eine Organspende-Aktion die Körper von Freiwilligen zu bemalen. »Als ich die Rundmail mit der Ausschreibung zu STEAM Imaging V erhielt, hat mich das vom Hocker gehauen«, erzählt Smith – und entwarf bald darauf ein schlüssiges Konzept. »Die Öffentlichkeit betrachtet KI-Systeme häufig als Blackbox – niemand weiß so recht, was sich drinnen abspielt und wie die KI zu ihren Entscheidungen kommt«, erläutert sie. Diesen Gedanken will sie mit ihrer interaktiven Kunst-Installation »The Box« aufgreifen.
Im Zentrum steht ein zwei Meter großer, mysteriös aussehender Kubus, versehen mit einer Dateneingabe-Station. Hier können die Leute medizinische Datensätze eingeben und die KI mit Trainingsdaten füttern. Anschließend wird die Maschine im Ausstellungsraum mittels künstlerisch erweiterter Datenprojektion zeigen, was sie aus den unterschiedlichen Eingaben gemacht hat. »Wenn wir die KI mit unvollständigen oder verzerrten Daten füttern – können wir dann erwarten, dass sie vernünftige Lösungen liefert?«, fragt Smith. Welche Art von Datensätzen im Detail konkret in Frage kommen, und wie die Maschine die Ergebnisse darstellen soll – diese Fragen will Fiona Smith im November während des zweiwöchigen Residenzaufenthalts bei MEVIS in Bremen gemeinsam mit den Fraunhofer-Fachleuten herausfinden.
»Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit, es werden intensive Gespräche«, sagt Smith – und schmunzelt. »Ich rechne damit, mit Daten und Informationen überschüttet zu werden und werde mir danach ein paar Wochen Zeit nehmen müssen, um das alles zu verdauen.« Nach den intensiven Wochen vor Ort am MEVIS wird die Kollaboration bis zur Fertigstellung der Arbeit im Frühjahr in Online-Meetings weiterlaufen. Ebenso gespannt ist sie auf den zweitägigen STEAM-Workshop, den sie gemeinsam mit MEVIS-Fachleuten am Schulzentrum Walle durchführen wird. »Es dürfte interessant werden, den Schülerinnen und Schülern die Dinge, an denen ich zur Erstellung des Werkes arbeite, zu zeigen, den Bezug zu den Forschungen am MEVIS zu setzen und zu sehen, wie sie darauf reagieren«, so Smith.
Danach wird sie »The Box« fertigstellen, um es schließlich im April 2024 auf dem renommierten Edinburgh Science Festival zu präsentieren – und zwar an einem besonderen Ausstellungsort des IDI: Die »Inspace Gallery« bietet ideale Voraussetzungen für die Präsentation aufwändiger Kunstinstallationen, lässt aber auch vorbeigehende Passanten mittels riesiger Außenprojektionswand am Geschehen teilnehmen. Flankiert wird die Ausstellung durch eine Diskussionsveranstaltung zur Eröffnung und weitere STEAM-Workshops.
STEAM Imaging V ist eine Kreator-Residenz des Fraunhofer-Instituts für Digitale Medizin MEVIS in Bremen, Deutschland, in Zusammenarbeit mit der International Fraunhofer Talent School Bremen, dem Schulzentrum Walle in Bremen und dem Institut for Design Informatics an der University of Edinburgh in Großbritannien. Unterstützt wird sie von der Ars Electronica im österreichischen Linz.