Yen Tzu Chang ist die Gewinnerin der Künstlerresidenz, die gemeinsam von Fraunhofer MEVIS und Ars Electronica im Rahmen des „European Digital Art and Science Network“ ausgeschrieben wurde. Diese von Ars Electronica gestartete internationale Initiative ermöglicht Aufenthalte von Künstlern an renommierten Forschungseinrichtungen, um Wissenschaft mit den Ansätzen der digitalen Kunst zu verknüpfen. Changs Ergebnis – eine Performance namens „Whose Scalpel“ – wird nun auf dem Ars Electronica Festival präsentiert, das vom 7.-11. September in Linz stattfindet.
„STEAM Imaging“, so heißt das Pilotprojekt für ein Residenzprogramm von Fraunhofer MEVIS – wobei das Akronym STEAM für die Verknüpfung von Wissenschaft, Technologie und Mathematik mit der Welt der Kunst steht. Während ihres zweiwöchigen Aufenthalts in Bremen lernte Yen Tzu Chang, die sich auf experimentelle Sound-Performances und die Konstruktion neuartiger elektronischer Instrumente spezialisiert hat, den Umgang mit einer Softwareplattform für die Bearbeitung medizinischer Bilddaten (MeVisLab). Mit diesem Werkzeug entwickeln die Forscher normalerweise Assistenzsysteme für Mediziner zur Diagnose, Therapie und Erfolgskontrolle von ernsthaften Erkrankungen wie beispielsweise Krebs. Unter anderem arbeiten die Forscher an Algorithmen, die die Analyse von MRT- und CT-Aufnahmen beschleunigen und präziser machen, aber auch Informationen aus den Bildern herauskitzeln, die ansonsten verborgen blieben.
„Mit der MeVisLab-Softwareplattform konnte ich meine eigenen medizinischen Bilddaten bearbeiten, Filme und ein 3D-Modell für meine Performance erzeugen“, erläutert die Künstlerin. Zudem entwickelte Chang als Bestandteil ihrer Residenz gemeinsam mit den Bremer Fachleuten einen Workshop für Schüler, der digitale Medienkunst und Wissenschaft auf innovative Weise verknüpft – ein neuer Ansatz in der Wissenschaftskommunikation.
Das ungewöhnliche Kunstprojekt: „Whose Scalpel“, so der Name der Performance, ist ein Ergebnis von Changs Residenz, es thematisiert die Zukunft der Beziehung von Mensch und Maschine in der Chirurgie. Die Installation basiert auf einer per 3D-Drucker hergestellten Nachbildung des Herzens der Künstlerin, bestückt mit Lichtquellen und elektronischen Klanggebern. Während der Performance agiert Yen Tzu Chang als „Chirurgin“, die mit Hilfe von Kabeln einen Bypass legt – und sich dabei von einer Künstlichen Intelligenz anleiten lässt. „Unter anderem soll die Installation die Frage aufwerfen, was der Mensch an Fähigkeiten verliert, wenn der Computer das Kommando übernimmt“, erläutert Chang.
Präsentiert wird die Performance auf dem „Ars Electronica Festival“, einer der weltweit wichtigsten Veranstaltungen für Medienkunst. Im Rahmen des Festivals findet auch der internationale Kongress „The Practice of Art and Science“ statt, auf der sich führende Forschungseinrichtungen und Künstler über ihre Erfahrungen mit der Integration künstlerischer Projekte austauschen. Hier stellt Bianka Hofmann, Leiterin der Unternehmenskommunikation bei Fraunhofer MEVIS, die Ziele und Resultate von STEAM Imaging vor. Gemeinsam mit der Workshop-Leiterin und MEVIS-Forscherin Sabrina Haase und der Künstlerin Yen Tzu Chang haben Festivalbesucher zudem die Möglichkeit, Elemente aus dem Schülerworkshop selbst zu erfahren: Während einer Live-Übertragung in das MRT-Labor nach Bremen können sie mit den Experten kommunizieren und dabei sein, wenn neue Daten aufgenommen werden. Anschließend können die Teilnehmer mit einer abgespeckten „MeVisLab“-Version am Computer mit medizinischen Bildern aus dem menschlichen Körper experimentieren.
Beides – MR-Scanner wie die Softwareplattform für den Umgang mit medizinischen Bilddaten – waren auch zentrale Bestandteile der beiden Schülerworkshops, deren Entwicklung ein weiterer Bestandteil von Changs Residenz war: Mittelstufenschüler aus Bremen sowie aus Linz hatten 3D-Bilddaten von Kopf und Rumpf digital bearbeitet und mit der Software kurze, künstlerisch anmutende Videos produziert. Diese steuerten ein Computerprogramm, das auf der Basis der Bildsequenzen elektronische Sounds generierte. Außerdem machten die Jugendlichen mit dem MR-Scanner 3D-Bilder von selbstgebauten Phantomen und von Obst und nahmen die Geräusche des Geräts auf, um sie mit Alltagsgeräuschen zu einer ungewöhnlichen Klangperformance zu kombinieren. Eine externe Evaluierung des Workshops ergab ein durchaus erfreuliches Bild: Viele der Schüler ließen sich für Wissenschaft begeistern.
„Mit einem solchen interaktiven Format der Wissenschaftskommunikation lässt sich die junge Generation direkt ansprechen“, betont Hofmann. Durch die Verknüpfung von Kunst und Forschung adressieren die Workshops verschiedene Ebenen. „Außerdem erhöht dieser interdisziplinäre Zugang die Chance, dass ein wirklicher Dialog zwischen Wissenschaftlern, Künstlern und Schülern zustande kommt“, erklärt Hofmann. „Auch die Forscher waren gefordert, ihre Komfortzone zu verlassen und sich mit den Sichtweisen von Schülern und Künstlern auseinanderzusetzen.“ Unter anderem wurde während des Aufenthalts der Künstlerin mit den Schülern, aber auch mit weiteren Wissenschaftlern am Institut darüber diskutiert, welche ethischen Fragen in der medizinischen Forschung auftauchen – eine wichtige Debatte, die die aktive Einbindung der Gesellschaft erfordert.
Fraunhofer MEVIS wird seine Aktivitäten in der Wissenschaftskommunikation fortführen. Neben den bewährten Formen wie 2D- und 3D-Filmen und interaktiven Exponaten für Ausstellungen und Museen wird das Institut weitere dialogorientierte Projekte mit und für die nächste Generation entwickeln, um den Einfluss neuer Technologien frühzeitig zu diskutieren. Die Künstlerresidenz mit Schülern war dafür ein Pilotprojekt. Das Ziel bei allem: Mit der Öffentlichkeit und vor allem der kommenden Generation wissenschaftliche und technische Themen zu durchdringen, zu diskutieren und digitale Expertise aufzubauen.