Forschende des Fraunhofer-Instituts für Digitale Medizin MEVIS, des Universitätsklinikums Freiburg und der Stryker Leibinger GmbH & Co. KG sind für ihre Publikation „Validierung einer Finite-Elemente-Simulation zur Vorhersage der individuellen Kniegelenkskinematik“ mit dem Forschungspreis Digitalisierung in Orthopädie und Unfallchirurgie 2024 ausgezeichnet worden. Die Preisverleihung fand am 25. Oktober 2024 auf dem Deutschen Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU 2024) in Berlin statt.
Knieverletzungen gehören zu den häufigsten Erkrankungen in der Orthopädie. Grundlage für die Therapieplanung sind radiologische Bilder, die mit einem Computertomografen (CT), Magnetresonanz-Scanner (MRT) oder Röntgengerät aufgenommen wurden. Diese Aufnahmen haben den Nachteil, dass sie in Ruhelage gemacht werden. Die meisten Kniebeschwerden treten jedoch auf, wenn sich die Patient:innen bewegen. Die Forschenden des Fraunhofer-Instituts für Digitale Medizin MEVIS und des Universitätsklinikums Freiburg haben im Projekt PLANK (Planungs- und Navigationsplattform für die individualisierte Versorgung von Kreuzbandverletzungen) ein neuartiges Verfahren entwickelt, das eine Therapieplanung bei einer Kreuzbandruptur auf Basis dynamischer Modellierungen anstelle statischer Bilder ermöglicht.
Das Kniegelenk verbindet Oberschenkelknochen (Femur), Schienbein (Tibia) und Kniescheibe (Patella) in einer gemeinsamen Gelenkhöhle. Zwischen Femur und Tibia liegen zwei Knorpelscheiben, die Menisken, welche die Gelenkoberfläche vergrößern und als Stoßdämpfer fungieren. Verschiedene Bänder, darunter das vordere und hintere Kreuzband, dienen zur Stabilisierung des Kniegelenks. Die Rekonstruktion des Kreuzbandes nach einer Beschädigung erfolgt üblicherweise mit einer Sehne, die den Patient:innen aus dem Oberschenkel entnommen wurde. Das neue Kreuzband wird an der Tibia verschraubt und mit einer Vorspannung eingebaut und fixiert. Die Position und die Vorspannung des neuen Kreuzbandes haben einen großen Einfluss auf die Beweglichkeit des Knies. Bislang wählten Ärzt:innen aufgrund ihrer Erfahrung diese Parameter aus. Die im Projekt PLANK entwickelte Simulation ermöglicht ihnen, am Computer die optimale Position zur Fixierung des Kreuzbandes zu finden. „Mit unserem Entscheidungsunterstützungsverfahren werden Kniegelenkoperationen patientenindividueller“, sagt Dr.-Ing. Elin Theilen, Leitende Wissenschaftlerin für Modellierung und Simulation am Fraunhofer-Institut für Digitale Medizin MEVIS. „Wir erwarten dadurch bessere Ergebnisse für die Patient:innen, da die Therapie auf jeden spezifisch zugeschnitten und optimiert werden kann“, ergänzt sie. „Vor allem Folgeprobleme wie Knorpelschäden oder Arthrose können wir damit vermeiden.“
Grundlage für die Simulation ist ein virtuelles 3D-Kniegelenkmodell der Patient:innen, das die Ärzt:innen am Bildschirm betrachten und frei rotieren können. Die Simulation ermöglicht ihnen, die Dynamik des Gelenks zu analysieren, sich auf einzelne Strukturen zu fokussieren und Informationen über die potenzielle Druck- und Spannungsverteilung im Gelenk zu erhalten. Zur Erstellung des Modells haben die Forschenden statische MR-Routinebilder von Kniegelenken für die Segmentierung der anatomischen Strukturen verwendet. Für die Berechnung der Drücke und der Spannungsverteilung verwendeten die Forschenden die Finite-Elemente-Methode (FEM), mit der sie diese Strukturen in kleine pyramidenförmige Elemente unterteilt haben. An den Verbindungspunkten dieser Elemente werden Bewegungs- und Spannungsverhältnisse mit mathematischen Gleichungen berechnet.
Die Validierung des FEM-Modells erfolgte am Universitätsklinikum Freiburg mit elf gesunden Proband:innen. Die Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie verfügt über ein maßgeschneidertes MR-kompatibles Belastungsgerät, das Kniegelenkaufnahmen in verschiedenen Stellungen (Streckung, Innen- und Außenrotation) und mit verschiedenen Belastungen erlaubt. Die Forschenden konnten dadurch erkennen, wie sich Strukturen wie das Kreuzband bei Bewegung verändern. Die FEM-Simulationen erreichten eine durchschnittliche Translationsgenauigkeit von 2 mm und eine durchschnittliche Winkelgenauigkeit von 1 Grad im Vergleich zur Referenzkniestellung. „Aufgrund dieser hohen Genauigkeit eignet sich unser FEM-Modell, um individuell zu entscheiden, wie die Stabilität und Funktionalität des Kniegelenks nach verschiedenen Knieverletzungen am besten wiederhergestellt werden kann“, sagt Prof. Dr. Kaywan Izadpanah, Sektionsleiter der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Universitätsklinikums Freiburg. Das FEM-Modell ist nicht nur auf Kreuzbandrupturen beschränkt, sondern ist im Bereich der Knieverletzungen universell einsetzbar, beispielsweise bei Implantaten, Frakturen oder Begleiterkrankungen.
An PLANK (Planungs- und Navigationsplattform für die individualisierte Versorgung von Kreuzbandverletzungen) waren das Fraunhofer-Institut für Digitale Medizin MEVIS und das Universitätsklinikum Freiburg (Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie und Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie – Medizinphysik) beteiligt. Die Projektkoordination lag bei der Stryker Leibinger GmbH & Co. KG. Das Projekt hatte eine Laufzeit von Oktober 2018 bis März 2022. Es wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Fördermaßnahme „Individualisierte Medizintechnik“ mit rund 1,5 Mio. € unterstützt.